Diesen Herbst wird in der Kunsthal KAdE eine große Retrospektive zeitgenössischer japanischer Kunst eröffnet. Eine Gruppenausstellung mit 37 zeitgenössischen japanischen Künstlern. In den letzten 15 Jahren stahl Takashi Murakami mit seinen Manga- und Anime-orientierten Cartoon-Figuren die Show. Sein Arbeitsstil dominierte die Ausstellungen über zeitgenössische japanische Kunst in Europa und den Vereinigten Staaten. KAdE zeigt in der Ausstellung "Now Japan", dass auf dem Archipel auch viele andere künstlerische Positionen vertreten sind, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich. Ein Schwerpunkt ist die künstlerische Produktion nach der Tsunami-Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011.
Im Gegensatz zu vielen anderen "nicht-westlichen" Ländern waren japanische Künstler seit dem Zweiten Weltkrieg an fast allen internationalen Bewegungen beteiligt: an den "Informellen" (Gutai-Bewegung), an der Op Art (Soto), am Fluxus (Yoko Ono), an der Konzeptkunst (On Kawara), an der Performancekunst (Yayoi Kusama) und an der Postmoderne (Murakami). In dem diffusen und pluralistischen Feld der zeitgenössischen Kunst sind die künstlerischen Positionen zunehmend individuell. Bewegungen gibt es schon lange nicht mehr, wohl aber Haltungen und "Trends". Solche Bewegungen haben einen universellen, "globalen" Charakter, sind aber oft auch lokal gefärbt. So sind die für die Ausstellung ausgewählten Werke zwar "japanisch", aber gleichzeitig lassen sich die beteiligten Künstler nicht nur in ihrer lokalen Kultur verorten.
Die Zen-Philosophie als grundlegender Bestandteil der japanischen Kunst
Niemand, der sich mit Japan oder japanischer Kunst beschäftigt, kann sich der "Zen"-Philosophie entziehen, die ein grundlegender Bestandteil des japanischen Lebens ist und somit auch die künstlerische Produktion prägt. Now Japan" zeigt, wie das uralte philosophische Konzept in der zeitgenössischen japanischen Kunst aktuell gehalten wird. Es findet sich in den Werken von Künstlern wie Zon Ito, Hiroe Saeki, Yamamoto Masao und Shinji Ohmaki, aber es liegt noch viel mehr Arbeiten zugrunde, auch wenn es nicht immer explizit ist. Ende der 1980er Jahre drehte Ryohei Iimura den Film "Space/Time in the Garden of Ryoan-Ji", in dem er den weltberühmten Zen-Garten in Kyoto akribisch mit der Kamera erkundet. Dieser Film wird neben anderen in der Ausstellung zu sehen sein.
Ein weiterer auffälliger Aspekt der zeitgenössischen japanischen Kunst ist ihre tiefe Verwurzelung in kulturellen und handwerklichen Traditionen. Insbesondere die Handwerkskunst - "Handarbeit" - prägt viele Aspekte der japanischen Kultur. Im alltäglichen Leben sieht man viele perfekt gefertigte oder perfekt verarbeitete Gegenstände oder Attribute. Diese Liebe zum Detail findet sich auch in der japanischen Kunst wieder. Japanische Künstler verleugnen die Traditionen nicht, sondern lassen sie auf natürliche Weise in ihre Werke einfließen. Der "Westen" hat ein viel komplizierteres Verhältnis zur Tradition. Seit dem 20. Jahrhundert dominiert die Idee des Fortschritts, und "Tradition" gilt als rückschrittlich und ist sogar irgendwie verdächtig. Tradition" ist zu einem Schimpfwort geworden. Nicht so in Japan. Zeitgenössische japanische Künstler gehen mit diesem Thema auf subtile, natürliche Weise um und gehen dabei von ihrer starken kulturellen Tradition aus.
Auswirkungen der Doppelkatastrophe in Fukushima (2011); mehr engagierte Kunst
Ein Teil der Ausstellung im KAdE wird sich auf die neuen künstlerischen Positionen konzentrieren, die nach der doppelten Fukushima-Katastrophe (Tsunami und anschließende Nuklearkrise) im März 2011 entstanden sind und spürbare Auswirkungen auf die Künstler in Japan hatten. Viele Künstler engagierten sich stark. Sie reisten in das Katastrophengebiet, um zu helfen, riefen zahlreiche Spendenaktionen ins Leben (vor allem auch im Ausland, u. a. in den Niederlanden) und begannen schließlich, in ihren Kunstwerken darüber zu reflektieren. Wie kann man als Künstler im "Auge" einer solchen Katastrophe arbeiten? Unter anderem spielt die Gruppe Chim↑Pom dabei eine aktive Rolle. Sie organisierte im Frühjahr 2012 im Watari'um Museum in Tokio eine Ausstellung über "aktivistische" Kunst, die in der zeitgenössischen Kunst in Japan noch ein recht junger Schwerpunkt ist. Sozialkritik" ist in Japan keineswegs selbstverständlich, hat aber nach der Tsunami-Katastrophe erheblich an Schwung gewonnen. Weitere Künstler in der Ausstellung, die sich - neben Chim↑Pom - mit diesem Thema beschäftigen, sind Tsubasa Kato, Katsumi Omori, Kengo Kito, Yuken Teruya und Ryohei Usui. Ein wichtiges Werk in diesem Zusammenhang ist "The Finger Pointing Worker": eine Videoarbeit eines Mannes in einem speziellen Anzug gegen Radioaktivität, der auf eine Kamera zeigt. Bei dieser Kamera handelt es sich um eine Webcam, die 24 Stunden am Tag auf den beschädigten Atomreaktor in Fukushima gerichtet ist. Die Aktion des Künstlers, der anonym bleiben möchte, erregte zum Zeitpunkt der Aufführung großes Aufsehen, da sie gegen die gesellschaftlichen Normen verstieß. Die "engagierte Kunst" ist ein relativ neues Genre in der japanischen Kunst.
Obwohl wir Takashi Murakami und seine Superflat-Bewegung "links liegen lassen", taucht das von ihm angesprochene Thema in "Now Japan" auf. In den 1980er Jahren tauchte in der japanischen Jugendkultur der Begriff "kawaii" auf, der so viel wie "süß" bedeutet. In Verbindung mit der Kultur der Manga-Comics, Anime und Avatare führt dies zu einem Strom von "cartoonartigen" Figurationen im Werk von Takashi Murakami und seiner Gruppe. In der Ausstellung "Now Japan" nimmt Momoyo Morimitsu ironisch Bezug auf das Konzept des "Kawaii", und zwar in Form eines aufgeblasenen, "niedlichen" Kaninchens, das unangenehm zwischen Boden und Decke eingezwängt ist. Der Grafiker Ryohei Yanagihara schuf in den 1950er Jahren stilisierte Figuren, die den maskottchenartigen Cartoon-Figuren der "Kawaii"-Kultur vorausgingen. Der Künstler Keiichi Tanaami schuf in den 1960er und 1970er Jahren Collagen und Siebdrucke, die einen Vorläufer des Bildprogramms von "Superflat" darstellen. Wir zeigen auch den "echten" Manga-Künstler Yuichi Yokoyama, dessen abstrakte Arbeitsweise in den Bereich der autonomen bildenden Kunst fällt. Abgesehen von den oben genannten Perspektiven zeigt KAdE in "Now Japan" Künstler, die auf ihre eigene Weise die Komplexität des japanischen Alltagslebens darstellen, um ein möglichst vollständiges Bild zu schaffen. Die Installation von Sayake Abe - die in Amsterdam lebt - handelt von den persönlichen Erfahrungen einer Frau im Katastrophengebiet von Fukushima und der mangelhaften Kommunikation über die Ereignisse - auch jetzt noch -, mit der sie zu kämpfen hat. Teppei Kaneuji baut eine große "Schneelandschaft", die bei näherer Betrachtung aus Konsumgütern aus Plastik besteht. Arturo Sato schafft eine große Wandzeichnung mit einem dichten Geflecht von Figuren, die sich gegenseitig überlagern.
Teilnehmende Künstler:
Sayaka ABE (1980) | Genpei AKASEGAWA (1937) | Ryoko AOKI (1973) | Kaoru ARIMA (1969) | CHIM↑POM | FINGER POINTING WORKER | Takahiko IIMURA (1937) | Sun ITO (1971) | Masaru IWAI (1975) | Takahiro IWASAKI (1975) | Teppei KANEUJI (1979) | Tsubasa KATO (1984) | Junko KIDO (1976) | Takayoshi KITAGAWA (1974) | Kengo KITO (1977) | Fumiko KOBAYASHI (1977) | Meiro KOIZUMI (1976) | Mami KOSEMURA (1975) | Yamamoto MASAO (1957) | Shimon MINAMIKAWA (1972) | Hidenori MITSUE (1969) | Toshihiko MITSUYA (1979) | Yumiko MORISUE (1982) | Shinji OHMAKI (1971) | Katsumi OMORI (1963) | Hiroe SAEKI (1978) | Ataru SATO (1986) | Kei TAKEMURA (1975) | Kazuyuki TAKEZAKI (1976) | Keiichi TANAAMI (1936) | Yuken TERUYA (1973) | Momoyo TORIMITSU (1967) | Naoyuki TSUJI (1972) | Ryohei USUI (1983) | Mai YAMASHITA (1976) & Naoto KOBAYASHI (1974) | Ryohei YANAGIHARA (1931) | Yuichi YOKOYAMA (1967)
Katalog:
Die Ausstellung wird von einem farbigen Katalog begleitet.